Ein Netz aus Mut und Freundschaft
Ganz oben auf dem Dachboden eines kleinen Hauses lebt die kleine Spinne Spinnfried. Er ist kein gewöhnlicher Achtbeiner – nein, Spinnfried ist ein Künstler. Mit seinen zarten Fäden webt er kunstvolle Netze, die funkeln und glänzen, wenn die Sonne durch sein Dachfenster scheint.
Doch Spinnfried hat ein riesengroßes Problem. Er ist sehr schüchtern. Nein, schlimmer – er hat richtig Angst. Angst vor der Welt da draußen. Er hat Geschichten gehört: von gemeinen Spinnen, launischen Käfern und fiesen Bienen, kleinen Menschen, die Spinnen jagen und großen Menschen, die sie fangen und wegtragen, weil sie Spinnen nicht mögen. Also bleibt er lieber drinnen. Allein.
Und weil er sich so oft Sorgen macht, und das Gefühl der Kälte ihn bedrückte, beginnt er zu stricken. Er strickt er sich acht Socken – eine für jedes seiner langen Beinchen. Und damit es nicht so langweilig ist, nimmt er für jeden Socken eine andere Farbe. So schauen seine Füße sehr bunt aus in seinem eintönigen und manchmal langweiligen Alltag und erhellen damit gleichzeitig sein Innerstes.
Tag für Tag sitzt Spinnfried in seinem bequemen Dachzimmer, spinnt seine Netze und seufzt leise: „Niemand sieht, wie schön meine Kunst ist“, murmelt er. „Aber hinaus … das traue ich mich nicht.“
Doch eines Morgens, als er gerade aufgestanden ist und das Fenster öffnet, weht ein starker Wind durchs offene Fenster. Der Wind saust durch das Zimmer von Spinnfried und zerrt an einem seiner schönsten Netze – und zack! – es flattert davon.
Spinnfried schnappt aufgeregt nach Luft. „Mein Kunstwerk! Mein Lieblingsnetz!“ Er zögert nicht, springt zitternd auf, zieht sich seine acht bunten Socken an, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und klettert zum Fenster. Mit einem ganz langen Spinnfaden lässt er sich hinab – und landet draußen. Draußen! Die Welt riecht nach Erde und Abenteuer. Er hat wirklich Angst, weil alles so groß ist und so laut. Und so neu. Im gleichen Augenblick bemerkt Spinnfried, dass er beim Hinausklettern vor Aufregung leider einen seiner tollen Socken verloren hat. Oje, jetzt sind es nur noch sieben bunte Socken.
Unten am Bod
en angekommen, hört er eine Stimme ganz klar und deutlich: „Oh! Wer bist denn du?“ Er erschrickt sehr und traut sich fast nicht, sich umzuschauen. Dann hört er die Frage nochmal und als er sich umdreht, steht da ein Käfer: „Ich bin Käfer Konrad und will gerade einen Spaziergang machen. Magst du mitkommen?“
Doch Spinnfried erklärte Konrad nur ganz schnell, dass er jetzt keine Zeit hat, weil er sein Netz suchen muss, das der Wind mitgenommen hat. Kurzerhand sagt Konrad, dass er ihm einfach hilft und mitkommt. Und so laufen beide Richtung Garten, wo sie das schöne, funkelnde Netz schon sehen können.
Beim Netz angekommen bestaunt Käfer Konrad das wunderschöne Netz, das der Wind bis in den Garten geweht hat. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen!“ rief Konrad, „Du bist ein toller Künstler! Warum hast du dich so lange versteckt?“
Spinnfried lächelt schüchtern: „Ich, ich … hatte Angst. Angst anders zu sein und Angst vor den Menschen, die ja viel größer sind wie ich. Wenn ich so zurückdenke, hat es sich schon sehr kalt angefühlt, so alleine zu sein, weil ich nicht den Mut und die Stärke gefunden hab, das zu überwinden. Der Wind hat mir jetzt dabei geholfen und dafür bin ich sehr dankbar.“
„Anders ist gut“, sagte Konrad und umarmt ihn. Und als Spinnfried so ganz emotional berührt dasteht, kommt Mira, die Moorspinne daher, die für ihr Leben gern tanzt, und da ist auch noch Theo, der Tunnelbauer-Käfer und Lotte Luftspinne, die ihre Netze gern an Bäumen spinnt.
Alle wollen die Geschichte von Spinnfried hören. Sie sitzen gemeinsam im Garten und hören Spinnfried zu. Wie er erzählt, von den einsamen Tagen und Wochen und dem unbeschreiblich großen Mut, als er sich endlich traute, sich auf Neues einzulassen.
Und noch was: Auch die Kinder aus dem Haus, auf dessen Dachboden Spinnfried lebt, haben ihn längst kennengelernt. Anfangs waren sie noch etwas vorsichtig – schließlich dachten viele, dass Spinnen unheimlich oder gruselig sind. Doch als sie sehen, wie freundlich Spinnfried ist, und wie wunderschön seine Netze glänzen, sind auch sie begeistert.
So hat nicht nur Spinnfried seine Angst verloren – auch die Kinder haben gelernt, dass Spinnen keine Monster sind, sondern friedliche, kunstvolle und ziemlich mutige kleine Wesen. Und ab diesem Tag ist Spinnfried nie mehr allein. Er zeigt allen seine Netze, lernt von den anderen und spinnt sogar mit seinen neuen Freunden schöne Kunstwerke. Seine Freunde zeigen ihm den tollen Garten und machen Ausflüge mit ihm, damit er noch viel entdecken kann von der großen Welt. Und ebenso ermuntert Spinnfried seine neuen Freunde, immer wieder mal bei ihm in seinem Zuhause in Tirol vorbeizuschauen. Weil doch so viele tolle neue Freundschaften entstanden sind. So freut sich Spinnfried jetzt auf jeden neuen Tag. Egal, ob es regnet oder ob die Sonne scheint.
Und weißt du was? Spinnfried ist so glücklich, dass er sich gar keinen achten Socken mehr strickt. Nicht aus Angst, sondern, damit er sich erinnern kann, wie mutig er gewesen ist.
Die aktuelle Geschichte von Spinnfried findest du hier zum Download. Die englische Geschichte gibt es hier.