Das Kräutermandl Kasimir
Hoch oben auf einem Tiroler Bauernhof lebt das Kräutermandl Kasimir mit seiner Frau Kathi. Der Kasimir ist ein ruhiger, aber spitzbübischer Mann. Seine Kathi sagt oft, er sei so alt und undurchschaubar wie der Wald. Da hat sie recht. Der Kasimir hat nämlich einen grauen Bart. Am liebsten trägt er seine Knickerbockerhosen, einen Hut, den „Buckelkorb“ und einen großen Wanderstock. Den Hut schmückt er mit seinen Lieblingskräutern. Den „Buckelkorb“ hat er dabei, weil er immer Kräuter findet, die er brauchen kann – für Salben, Tinkturen, Säfte, Tee, Seifen oder einfach zum Essen.
Eines Tages erhielt der Kasimir einen Brief. Darin stand, dass ein gewisser Konrad aus Frankfurt zu ihm kommen wird, um von ihm zu lernen. Das Tiroler Kräutermandl war ein wenig verwundert. Er wusste nicht, was er einem Jungen lehren sollte. Er kennt sich ja nur mit der Natur aus. Außerdem ist er kein Lehrer. Und viel reden mag er auch nicht.
An einem warmen Sommertag klopfte es an der Tür von Kasimir und Kathi. Ein schmaler Junge stand vor der Tür und lächelte. Das war also Konrad aus Frankfurt. Er bezog ein kleines Zimmer am Hof und ging danach eine Entdeckungsrunde ums Haus. Das war schon eine ziemliche Herausforderung für den Stadtjungen. Denn der Bauernhof befindet sich auf einem Berg und da muss man gut aufpassen, wo man hintritt. Konrad schaute und schaute, aber nicht auf den Weg, sondern auf die Berge. Und vor lauter Schauen merkte er gar nicht, dass er bereits mitten in einem Brennesselfeld stand. Er schrie und weinte fürchterlich: „Au, au, au!“ Seine Beine juckten überall und dann bekam er auch noch einen Ausschlag. Außerdem war er ganz allein – ohne Mama und Papa. Oh nein – und wenn er jetzt auch noch ins Krankenhaus muss. Der arme Konrad! Es hatte ihn echt schlimm erwischt!
Zum Glück hörte der Kasimir das Weinen und fand den armen Jungen. Rasch half er ihm heraus und sagte zu ihm: „Ruhig, Konrad, sei ruhig! Mach nicht so ein Theater wegen den Brennesseln.“ Dann drehte sich das Tiroler Kräutermandl um und suchte nach etwas auf dem Boden. Da wurde der Konrad noch trauriger. Denn anstatt ihn zu trösten, drehte sich der Kasimir um und starrte auf den Boden. Das Kräutermandl suchte nämlich einen Spitzwegerich. Als es ihn gepflückt hatte, drückte es den Saft der Pflanze aus und rieb ihn auf die schmerzhaften Stellen. „Das ist ein echtes Indianderpflaster und hilft sofort“, sagte der Kasimir. Tatsächlich. Es dauerte nicht lange und das Jucken wurde weniger. Sogar der Ausschlag begann zu verschwinden. Dann erzählte der Kasimir noch: „Die Brennessel tut nur dann weh, wenn man sie von oben berührt. Wenn man die Blätter von unten nach oben schiebt, tun sie nicht weh. Merk dir das“. Der Konrad schaute ihn mit großen Augen an. Dann erzählte der Kasimir weiter: „Die Kräuter wirken am allerbesten, wenn man mit einem Zauberspruch zu ihnen spricht.“ Da wurde der Konrad hellhörig: „Wie lautet er? Ich möchte schnell wieder ganz fit werden!“ Und da verriet ihn ihm das Tiroler Kräutermandl:
„Heile, heile Kräuterlein,
es wird gleich wieder besser sein.
Heile, heile mit der Kraft,
die du in dir drinnen hast.
Heile, heile Kräuterlein,
mit dir wird wieder alles fein.“
Der Spruch wirkte wirklich beruhigend und dem Konrad tat bald nichts mehr weh.
„Jetzt ists aber genug für heute“, meinte das Kräutermandl. „Wir gehen nach Hause. Nicht, dass noch etwas passiert.“ Konrad war froh, als er in der Küche saß und dem Kasimir nur noch beim Kräutersortieren zuzusehen brauchte.
„Bald gibts Abendessen“, sagte der Kasimir. Konrad hatte schon großen Hunger. „Was gibts denn?“, wollte er wissen. „Einen Salat aus Löwenzahnblättern mit Schafgarbenessig und Gänseblümchen als Deko, denn das Auge isst mit“, lächelte der Kasimir. Na Bravo! Ein Burger mit Pommes wäre dem Jungen lieber gewesen. Der Kasimir meinte, das wäre ein gesundes Essen voller Bitterstoffe, die besonders nach einem so schmerzhaften Tag wichtig für seinen Körper wären. „Bitterstoffe?! Das hört sich aber gar nicht gut an“, klagte der Konrad. Aber es nützte nichts. Der Konrad war tapfer und aß den Salat. Und stellt euch vor – er mochte ihn sogar. Aber das konnte er natürlich nicht zugeben.
Konrad aus Frankfurt blieb vier Wochen bei Kasimir und Kathi auf dem Tiroler Bauernhof. Am Ende war er braungebrannt, hatte rote Wangen, stramme Waden und trug einen Rucksack – denn man weiß ja nie was man am Wegesrand so alles findet.
Die Geschichte gibt es hier zum Download.